Montag, 10. August 2015

Wieder nur zu zweit

Als wir Matheo der Krankenschwester übergeben haben, sagte Sie uns noch mit Tränen in den Augen, das Sie nun Fußabdrücke und Fotos von unserem Sohn machen würde. Sie würde Ihn waschen und anziehen. Sie sagte uns auch, das wir jederzeit wieder kommen können und ihn auf den Arm nehmen dürfen. Auch das Familienmitglieder kommen dürfen um den Kleinen zu sehen und sich von ihm zu verabschieden.

Mein Mann und ich gingen aus dem Raum. Wie Leere Hüllen fühlten wir uns. Beim Anblick der anderen Eltern die in den anderen Räumen auf der Intensivstation bei Ihren Babys waren füllten sich unsere Augen mit Tränen. Wir wollten auch Tag für Tag, weitere Wochen kommen um unseren Sohn auf seinem schweren Weg zu begleiten und zu Unterstützen. Doch wir waren nun wieder zu Zweit. Aus Dreien wurden zwei.

Wir kamen im Krankenhauszimmer an und setzten uns auf das Bett. Wir saßen dort und fragten gegenseitig:" Was jetzt?". Wir hatten jetzt keine Aufgabe mehr. So beschlossen wir, das einzige was wir tun konnten, war unsere Familie anzurufen und Ihnen die traurige Nachricht überbringen.

Der Moment als ich meine Mama am Telefon hatte und ihr sagen musste das er es nicht geschafft hat war die Hölle. Meine Mutter schrie am Telefon weinend: NEIN, SARAH NEIN... NEIN NEIN NEIN! Es war der schwerste Anruf den ich je machen musste.

Die Mama von meinem Mann, meine Mama und meine Schwester wollten sofort zum Krankenhaus kommen. Alle wollten sich noch von ihm verabschieden. Das war so schön und auch Mutig. Ich weiß nicht wie ich gewesen wäre, hätte mir einer gesagt: "Komm dich von unserem Toten Baby verabschieden!".

Als die beiden Omas von Matheo mit auf die Station gingen war es wie der Marsch in die Hölle. Alle senkten den Kopf und meine Mama erzählte mir später wie viel Angst Sie hatte vor dem was Sie nun erwarten würde. Noch nie haben wir in unserer Familie einen Toten Menschen gesehen. Und schon gar nicht ein Totes Baby.

Beide Omas nahmen Ihr Enkelkind auf den Arm und man sah Ihnen an wie sehr Sie Matheo lieb hatten. Jede von Ihnen wiegte Ihn wie ein lebendes Baby. Instinkt einer Mama wahrscheinlich.

Auch mein Mann nutzte diesen Moment um Matheo noch einmal auf den Arm zu nehmen. Er war so unendlich Traurig seinen Sohn verloren zu haben. Das tat so weh.



Am Ende wurde Matheo wieder in den offenen Inkubator gelegt auf dem seine Kerze brannte. Es hatte etwas friedliches in dem Raum der nun ohne Schmerzen für Matheo war. Wir gingen alle vier gemeinsam wieder nach oben in mein Zimmer im Krankenhaus. Wir sprachen lange und immer wieder weinten wir zusammen und fragten Warum!

Ich ging mit meiner Schwiegermama eine Zigarette rauchen. Ich habe zu dem Tag seit 3 Jahren nicht mehr geraucht. Meine Schwiegermama und ich weinten draußen und sprachen über den Tod. Sie hatte vor 6 Jahren Ihren Mann, den Papa meines Mannes verloren. Auch Sie leidet heute noch sehr unter dem Verlust.

Als alle gefahren waren, würde ich wütend. Ich wollte keine Sekunde mehr in diesem Krankenhaus sein. Warum denn auch? Mein Sohn war fort. Ich machte etwas Theater auf der Station das ich entlassen werden will. Ich durfte aber nicht, da meine Blutwerte noch immer schlecht waren und ich zu dem Zeitpunkt alle 6 Stunden Antibiotika per Infusion bekam. So musste also nochmal Blut abgenommen werden und wir warteten auf die Blutergebnisse. Ich bekam nochmal ein Ultraschall, wo die Ärztin schaute ob die Gebärmutter sich richtig zurück gezogen hatte. Als alle Ergebnisse da waren durfte ich gehen. Komisch, dass jetzt wo Matheo fort war die Blutergebnisse langsam besser wurden.

Die Liebe Ärztin klärte mich noch auf wie ich den Milcheinschuss behandeln soll und kann und das ich Freitag nochmal zur Blutabnahme kommen müsste. Freitags sollte wir auch nochmal zu dem Kinderarzt auf die Neonatologie kommen für ein Gespräch. Schön und gut. Ich wollte weg.
 
 
Einen Satz den ich niemals vergessen werde von einer mehr als dummen Pflegerin war:
"Seien Sie nicht traurig, beim nächsten mal klappt es bestimmt!"
 

Was hatte die gesagt? Beim nächsten mal klappt es bestimmt? Ich war geschockt, unfähig etwas zu sagen. Im Normalzustand hätte ich Ihr eine geknallt. Mein Sohn war kein Paar Schuhe welches defekt war und einfach ausgetauscht werden kann. Zu dem Zeitpunkt gab es für mich gar kein "Nächstes mal". Ich will kein "Nächstes" Kind dachte ich, ich wollte Dieses Kind. Ich wollte meinen Matheo.

Eine Ärztin sagte noch zu mir bevor wir gingen: "Irgendwann werden Sie mit einem gesunden Baby nach Hause gehen auch wenn Sie es jetzt nicht hören wollen."

Als wir Zu Hause ankamen weinte ich wie noch nie in meinem ganzen Leben. Ich schlief vor Erschöpfung ein. Und ich schlief das erste mal seit Wochen durch. Wie als sei ich Tot. Ich träumte nicht, ich wurde nicht wach ... es war einfach nichts außer Leere da.

Als ich aufwachte am nächsten morgen, streichelte ich mir über den Bauch und war voller Zuversicht das es nur ein Traum war. Doch mein Bauch war nicht mehr da. Matheo begrüßte mich nicht mit einem Stupser oder einen Tritt in meine Blase. Nichts war da. Als ich das begriff begann meine Zeit des Schocks unaufhaltsam weiter zu laufen. Ich saß Wochenlang nur da, weinte und starrte aus dem Fenster gegen einen Baum. Das war alles was ich wollte. Die Stunden und Tage vergingen ohne das ich es bemerkte.

Mit Matheo ist auch ein Teil von mir gestorben.

Eine Zeichnung von mir für Matheo






Es ist so geheimnisvoll, das Land der Tränen…
(Saint Exupery, Der kleine Prinz)







 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen