Sonntag, 9. August 2015

Die Intensivstation

Nun war Matheo geboren. Es folgten Stunden des Bangens.

Es war ein permanenter Kampf ums Überleben und wir kämpften gegen die Zeit.




Mein Mann und ich waren nach der Geburt noch immer im Kreißsaal. Wir sollten anfangen die erste Muttermilch für Matheo in einer kleinen Spritze zu sammeln. Diese erste Milch ist für die Babys und gerade die zu früh geborenen sehr wichtig.
 
Wir hatten eine so liebevolle Hebamme. Sie war noch jung, vielleicht ebenfalls Mitte 20. Sie zeigte uns wie wir die Spritze für Matheo befüllen konnten. Sie sagte mir ständig das unser Baby in guten Händen sei. Und mein Mann und ich ein so tolles Paar seien. Das würde Sie nicht oft sehen sagte Sie. Mein Mann und ich schauten uns nur an und waren überwältigt über so liebe Worte in dieser Situation.
 
Als ich versorgt wurde nach der Geburt kam der Kinderarzt rein und wollte uns erste Auskünfte über den Gesundheitszustandes unseres Sohnes mitteilen. Er sah nicht freudig aus. Er kam hinein und sagte uns ernst: "Ihr Baby ist sehr krank".
 
Mein Mann und ich schauten uns an und verstanden wieder rein Garnichts. Was erwarten die Ärzte, was man sagt? Man kann nichts sagen wenn man nichts versteht. Kennt ihr den Spruch: "Ich höre was du sagst aber ich verstehe nicht was du meinst!"
 
Genauso ging es uns. Ich wurde wütend auf den Arzt und fragte sauer: "Was soll das heißen? Hat unser Sohn eine Behinderung?"
 
Der Kinderarzt verneinte dies, sagte aber das sie nicht genau wissen wieso Matheo so viele Baustellen hatte. Er bewegte sich immer noch kaum und hatte viele Probleme. Sie konnten ihm kaum Blut abnehmen, da er so wenig Blut im Körper hatte. Sie haben eine Reihe Untersuchungen machen wollen um herauszufinden was los ist.
 
Nachdem ich aufstehen konnte und mich bereit fühlte auf die Kinderintensivstation zu gehen, besorgte mein Mann einen Rollstuhl und fuhr mit mir auf die Intensivstation. Die Nachwehen interessierten mich recht wenig. Mein ganzer Gesundheitszustand, über den sich normale Mamis vorher so lautstark beklagten in meinem Umfeld, war mir völlig egal. 
 
Ich hatte solche Angst als wir dort rein kamen. Wir mussten unsere Hände sehr aufwendig Desinfizieren und waschen. Dann gingen wir zu dem Raum 18 in dem unser Sohn in seinem Inkubator lag. Es war eine Decke darüber gelegt, damit es nicht so hell um ihn herum ist. Schließlich wäre er normalerweise noch im Dunkeln im Bauch gewesen.
 
Es kamen einige Ärzte in den Raum und versuchten uns zu erklären was los ist. Sie wussten es jedoch selbst nicht. Sie konnten uns nur die Symptome sagen die er hatte jedoch fanden Sie keinen Grund.
 
Er hatte durch die Frühgeburt eine leichte Hirnblutung. Diese werden eingestuft in Grad 1 , 2 oder 3. Grad 1 ist hier das beste und zu Glück hatte er nur Grad eins. Er hatte eine Kleine gestrickte Wollmütze an die ihm bis in das kleine Gesicht gezogen war. Damit er es warm und dunkel hatte.
Sie konnten ihm kaum Blut abnehmen und wir sollten unser O.K für eine Bluttransfusion geben. Diese birgt natürlich auch Risiken aber wir gaben unser Einverständnis. Zudem bekamen Matheo und ich zu diesem Zeitpunkt beide ein Antibiotika. Dieses schlug sowohl bei ihm als auch bei mir an. Dies zeigte schon mal das eine Infektion sein musste. Sie konnten jedoch nichts klar eingrenzen. Sie testeten alles: Röteln, Windpocken, Eppstein Barr Virus, Hepatitis A und B, Parvo Virus, Herpes Simplex Virus, Toxoplasmose und es war alles negativ.
 
Das einzige was niemand  testete war: CMV - Cytomegalie Virus.
 
Hier sollte sich viel später erst heraus stellen, das es das auch nicht gewesen ist. 
 
Warum dies keiner testete frage ich mich noch heute. Werde ich bei dem Abschluss Gespräch nach der Autopsie jedoch noch Ansprechen und hier berichten.
 
So folgten 3 Tage in denen Matheo einfach nur in Ruhe gelassen werden sollte. Das bekam ihm am besten sagten die Ärzte. Manchmal schwenke das Gesundheitsbild der Kinder nach 3 Tagen zum Guten oder schlechten um.
 
In diesen 3 Tagen hatte ich furchtbare Angst vor den Ärzten und dem was sie sagten. Ich hatte sogar Angst in die Intensiv zu meinem Sohn zu gehen. Die ganzen Geräte und das Piepen und Bimmeln der Maschinen machte mir Angst. Die ganzen Schläuche in dem kleinen Körper meines Sohnes. Das alles war so Falsch. Er gehörte in meinen Arm nicht in diesen Kasten.
 
Die stärksten Reaktionen zeigte Matheo wenn wir bei ihm waren und mit ihm Sprachen. Jedes mal wenn mein Mann ihn berührte durch die Luken des Inkubators bewegte sich Matheo. Der Kinderarzt sagte wir sollen keine Angst haben ihn zu berühren. Und wir sollten dies so oft es geht tun. Unser Sohn würde das brauchen. Mein Mann legte eine Hand oben um sein Köpfchen und eine Hand unter seine Füßchen und gab ihm so ganz viel Geborgenheit. Das tat Matheo so gut, das er die stärksten Reaktionen nur bei meinem Mann zeigte. Mein Mann gab Matheo die Kraft und Zuversicht die er brauchte. Die konnte ich ihm vor Angst und Schock nicht geben. Ich glaube nur durch die Kraft meines Mannes und die ständiges Präsenz von ihm an seinem Inkubator gab ihm die Kraft um 3 Tage zu kämpfen. Ich ging jedes mal mit meinem Mann und stand wie Paralysiert vor dem Inkubator. Ich hoffte jedes mal, wenn ich Matheo berührte an seiner Brust, das er die Augen öffnet und anfängt zu schreien. Doch das passierte nicht.
 
Am Mittwoch, den 08.06.2015 ging ich mit meinem Mann wieder runter zur Intensivstation. Meine Tage bestanden aus Essen, schlafen, Milch abpumpen und hoch zur Intensiv zu meinem Sohn gehen, meine Infusionen mit Antibiotika und der Hoffnung meinen Sohn nicht zu verlieren.
 
Alle Freunde und Familienmitglieder sprachen uns Mut zu, doch an diesem Mittwoch spürte ich wieder diese Unruhe in mir. Ich hatte jede Minute Angst, es klopfe an der Tür und sie sagen mir er stirbt. Ich bin heute fasziniert von dieser Intuition die wir Menschen besitzen wenn wir es zulassen. Diese Verbindung zu unseren Kindern oder nahestehenden Menschen die uns zeigen  und spüren lassen, auch über Entfernungen, wenn uns etwas bevor steht.
 
Ich sprach morgens noch mit der Psychologin aus dem Krankenhaus, die für die Frauen aus der Gynäkologie verantwortlich war. Sie fragte mich wie es mir gehe. Und ich sagte ihr das ich Angst habe, das ich den ganzen Tag Angst habe das jemand rein kommt und mir sagt er stirbt. Und das ich deswegen Angst habe zu ihm zu gehen alleine. Mein Mann war zu Hause ein paar Telefonate erledigen. Er hatte sich Urlaub genommen.
 
Sie sagte, ich solle warten bis mein Mann kommt und erst dann zu Matheo gehen wenn ich mich dabei besser fühle. Das es völlig in Ordnung ist, dass ich Angst habe. Und sie sagte ständig, ich solle mir nochmal überlegen ob ich Matheo nicht doch schon im Krankenhaus taufen lassen möchte.
 
Ich hatte mich vor 2 Tagen dagegen entschieden, denn WENN er das überleben sollte dachte ich mir, dann soll er wie ein normales Kind in der Kirche getauft werden.
 
Deswegen wurde ich wütend, dass Sie wieder von der Taufe sprach und so darauf drängte. Ich fragte mich ob Sie mehr über Matheos Gesundheitszustand wusste wie ich. Warum Sprach Sie so drängend von der Taufe? Würde er sterben? War mein Gefühl richtig? Warum spricht keiner mit mir? Lebt Matheo überhaupt noch?
 
So viele Fragen und soviel Wut hatte ich in mir. Als Sie ging weinte ich. Ich wollte nicht das er im Krankenhaus getauft wird.
 
Als mein Mann kam, ging ich wieder zum Abpumpen der Muttermilch. Dies war meine Aufgabe. Für meinen Sohn da sein. Ich funktionierte wie ein Roboter. Als ich da so für mich alleine beim Abpumpen saß, schaute in durch das Fenster raus auf die Bäume. Ich merkte da erst, wie schön das Wetter draußen war. Aber es interessierte mich nicht. Die Welt draußen stand für mich still.
 
Als ich dort saß, hörte ich wie die Tür zu dem Stillraum geöffnet wurde. Der Vorhang hinter dem ich saß wurde aufgeschoben. ich saß mit dem Rücken zum Vorhang. Ich drehte meinen Kopf und wusste was jetzt kommt. Mein Mann und der Kinderarzt standen mit versteinerter Miene da und sagten mir ich solle mitkommen. Matheo geht es nicht gut. Natürlich kamen Sie, das wusste ich den ganzen Tag schon.
 
Ich zog mein Oberteil an und ließ alles dort liegen. Ich nahm die Hand meines Mannes und ging stumm hinter dem Arzt die Flure entlang. Ich überlegte was mir jetzt bevor stehen würde! War er schon Tot oder was machen Sie jetzt mit ihm? Keiner sprach.
 
Als wir auf der Intensiv ankamen brauchten wir auch keine Hände mehr waschen. Wir gingen in den Raum 18 rein wo mein Sohn lag. Sein Nachbar - Auch ein Frühchen Baby wurde schon aus dem Raum gebracht. Ich fing an zu weinen.
 
Der Raum war voll mit Ärzten und Sie erklärten was los ist.

Matheos Zustand ist in den letzten Stunden schlechter geworden. Seine Hirnblutungen sind stärker geworden. Er hatte Probleme mit der Nahrungsaufnahme und mit dem Ausscheiden von Urin. Seine Blutwerte seien auch wieder schlechter geworden. Es gab nun nur noch eine andere Behandlungsmethode die mit starken Schmerzen für ihn verbunden gewesen wären. Sie rieten uns nicht dazu die Methode umzuschwenken. Er hätte dies wohl nicht überlebt. Welche Eltern wollen ihrem Kind eine Behandlung antun die mit "enormen Schmerzen" verbunden ist ohne Aussicht auf Erfolg?
 
So entschieden wir uns, das auch wir das nicht wollten. Er hat doch schon so gelitten. Nach der Geburt schaute er zu grimmig drein, als wolle er sagen: "Was soll das denn hier bitte?"
 
Nun entschieden wir uns doch dazu ihn noch Taufen zu lassen. Nur lebende Kinder dürfen getauft werden. Und das sollte er, denn er sollte in den Himmel und nicht in den Limbus.
Auch wenn ich nicht daran glaube, kam mir die Scene von einer Folge von Sex and the City in den Sinn. Wo Steve möchte das sein Sohn getauft wird, damit er nicht in den Limbus kommt. Seine Mama Miranda ist absolut nicht gläubisch und belächelt Steve erst. Aber dann entscheidet Sie sich Braidy taufen zu lassen.
 
Der Pastor wurde angerufen. Bis dieser Eintraf wurde von Matheos Pflegerin ( Krankenschwester) eine Kerze auf den Inkubator gestellt. Er wurde von den Schläuchen befreit und mit einer Decke mir in den Arm gelegt. Das einzige was Matheo noch am Leben hielt, war sein Beatmungsgerät. Er hatte eine Süße Decke übergelegt bekommen die aus lauter Luftballons bestand. Ich hatte meinen Sohn das erste mal im Arm. Ich starrte ihn an, ich konnte meinen Blick nicht mehr von ihm abwenden. Er war so perfekt und so süß. Seine kleinen Fäuste waren so zusammengeballt, weil seine Muskeln so krampften. Sein Gesicht war so unendlich schön. Mein Mann saß neben mir und schaute Matheo ebenfalls nur an. Er bekam noch seine Spieluhr dazu gelegt welche mein Mann abspielte. Die kannte Matheo seit der Schwangerschaft.
 
Ich weinte bitterlich, dieses Lied sollte doch niemals sein Todeslied sein.
Mein Mann und ich erfuhren erst die Woche nachher das dieses Lied: "Schlaf Prinzchen, Schlaf" heißt. Wir hatten Gänsehaut. Wieder ein Zufall der so gar nicht nach Zufall klang. Diese Spieluhr hatte ich gekauft, da wusste ich ja noch gar nicht das wir einen Jungen bekommen. Zufall? Nein. Schicksal? Ich glaube langsam: Ja!


Matheos Spieluhr von Steiff


Nachdem Matheo getauft wurde gab jeder Chefarzt, Oberarzt, Kinderarzt, Krankenschwester und anwesende Pfleger im Raum Matheo ein Kreuz auf die kleine Stirn. Mit welchem Respekt unser Sohn behandelt wurde gibt mir heute immer wieder Tränen in den Augen. Er wurde wie ein Großer behandelt und Respektiert.
 
Der Arzt versicherte mir vorher noch, das er keine Schmerzen haben würde. Sie hatten ihm ein Schmerzmittel gegeben.
 
Ich berührte sein Gesicht und küsste ihn. Er hatte so unglaublich weiche Haut, das werde ich niemals vergessen. So etwas weiches wie Baby Haut habe ich noch nie berührt.
Der Arzt entfernte den Klebestreifen auf seiner winzigen Nase an der das Beatmungsgerät befestigt war. Ich schaute weg. Ich konnte nicht mit ansehen wie der Schlauch aus seiner Nase gezogen wurde.
Danach schaute ich meinen Sohn wieder an. Seine geschlossenen Äuglein zuckten einmal kurz und ich hoffte er würde sie öffnen. Er sah so friedlich aus, fast als würde er schmunzeln. Er war endlich bei Mama und Papa im Arm die ihn unendlich liebten. In dem Moment flog unser kleiner Schmetterling  in den Himmel. Es ist Wahnsinn, dass ich so deutlich spüren konnte, ja fast sehen konnte, wie seine Seele seinen kranken kleinen Körper verließ.
 
Mein Mann und ich saßen viele Stunden mit Matheo auf dem Arm dort und weinten. Unser Sohn war fort. Und mit ihm unsere Zukunft, unser Glück und unsere Hoffnung.


Eine der wertvollsten Erinnerungen an unseren Sohn




Nur die Kinder wissen, wohin sie wollen.
(Saint Exupery)





2 Kommentare:

  1. Das hast du so toll geschrieben Puppe! Ich habe Gänsehaut und Tränen in den Augen...
    Ich bin sooo stolz auf Dich! Nein, ich bin stolz auf Euch! Ihr seid so starke Kämpfer...
    Und wenn Matheo das lesen könnte, wäre er genauso stolz auf seine Mama...
    Er wird ewig in eurem Herzen weiterleben und bestaunt euch jeden Tag vom Himmel aus!
    Ruhe in Frieden kleiner Kämpfer Matheo!!����

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    1. Danke das du dir die Zeit genommen hast hier zu lesen :-* Und danke für deine lieben Worte.

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