In der Reha wurde mir öfters gesagt, ich solle mir mal überlegen die ganzen Erinnerungen weg zu legen bzw. mir nur noch einen Ort in der Wohnung aussuchen an denen ich Matheos Bilder aufhänge.
Ich hatte in den letzten 1,5 Jahre überall in der Wohnung verteilt Erinnerungen hängen. Habe ich gerade 1,5 Jahre geschrieben? Mir läuft gerade eine Gänsehaut über den Körper und mir wird der Boden entzogen bei dem Gedanken, dass es so lange her ist das mein Engel fortgeflogen ist.
Es gibt Tage da habe ich das Gefühl ich brauche Ihn wie die Luft zum atmen.
Ich habe mir seit fast einem Jahr nicht mehr bewusst die Erinnerungen angesehen. Denn wenn ich das tue, legt sich Schwermut auf mein Herz. Es tut weh. Ich vermisse Ihn und mir wird dann immer wieder bewusst das ich Ihn nicht zurückholen kann. Aber die Bilder geben mir Zuflucht. Geben mir Kraft.
Ich habe es tatsächlich geschafft, zwei weitere Erinnerungen beiseite zu räumen ohne das Gefühl von Verrat an meinen Sohn zu haben. Ich habe bewusst so lange damit gewartet, bis es mir nicht mehr die Luft zum Atmen raubt. Denn dann wäre es für mich definitiv zu früh gewesen. Aber die Menschen aus der Reha hatten Recht. Unbewusst hängt dieser Trauer Gedanke permanent in der Wohnung. Auch wenn wir Dinge in unserem Umfeld irgendwann nicht mehr bewusst wahrnehmen, weil sie jeden Tag an dem selben Ort stehen, so nehmen wir es unterbewusst wahr. Und das kann die Trauer permanent präsent machen. Darüber habe ich lange nachgedacht und beschlossen, dass ich es einfach ausprobiere zwei Dinge wegzuräumen.
Es tat nicht weh. Es fühlte sich tatsächlich ganz Ok an. Mir ist irgendwo tief drin ein Stein vom Herzen gefallen. Mein Herz wird belagert von vielen Steinen die es verschleiern. Aber jeder Stein der abfällt, lässt es wieder stärker schlagen. Es ist wie Gnade für mein Herz. Die Burg wird eingerissen. Hoffnung kommt sogar an guten Tagen auf. Denn ich glaube an mein Herz und ich brauche es, wie sonst nichts auf dieser Welt.
Was mir jedoch immer noch sehr häufig passiert ist das ich plötzlich und egal wo anfange zu weinen weil es mich umhaut. Irgendetwas hat dann die Erinnerung vor meinem innerlichen Auge heraufbeschworen. Auch bei Filmen weine ich neuerdings extrem bei emotionalen Themen. Das hatte ich früher nie. Ich kann Trauer einfach nachempfinden. Ich weiß dann genau wie die fitkive Person aus dem Film sich fühlt. Und drifte ab in meine eigene Trauer. Aber ich habe so - fast wöchentlich Platz für meine Trauer gefunden.
Mit der Zeit lernt man, dass man Frei ist in seinen Erinnerungen und diese nicht an Bilder oder Gegenstände gebunden sind. Nach der Reha habe ich auch den Kleiderschrank von Matheo ausgeräumt und alles in Mottendichte Folien gepackt. Meine Schwangerschaftskleidung aus meinem Schrank rausgeräumt. Babyspielzeug in Kisten gepackt und alles was dazu gehört. Es fühlte sich richtig an. Ich bin freier in meiner Trauer. Frei wie ein Stern. Frei wie das Meer. Frei wie ein Kind. Getragen von der Liebe zu Matheo.
Die Kinder die uns verlassen sind in unseren Herzen. Dieser Ort ist Ewig. Dieser Ort ist Heilig. Dieser Ort ist Frei.