Sonntag, 23. August 2015

Urlaub ohne Matheo

Mein Lieblingsmensch hatte vor ein paar Wochen eine ganz tolle Idee. Wir brauchten Urlaub.
Über 2270m hoch in den Bergen der Schweiz

Zu Hause ist man in seinem immer gleichen Trott. Man hat keinen Raum um den Gedanken und dem Geist Luft zum atmen zu geben. Die Alltäglichkeit verdüstert die Sinne. Alles hier zu Hause erinnerte mich daran, dass Matheo nicht im September hier bei uns sein würde. Ich lief jeden morgen an seinem Zimmer vorbei und sah seine Wippe. Ich stelle mir jeden morgen vor, wie es gewesen wäre, wenn Matheo in seiner Wippe gelegen hätte während ich mich schnell im Bad fertig machte. Wie er mich vielleicht aus der Wippe beobachtet hätte und mich angelächelt hätte.

Ja die Gedanken an das hätte, wäre wenn... tun sehr weh. Hingegen einiger gut gemeinter Ratschläge wird sein Zimmer so bleiben wie es ist. Auch sein Kinderwagen wird nicht verkauft. Es war und ist mein Traumkinderwagen. Und irgendwann vielleicht wird in diesem Kinderwagen sein Bruder oder seine Schwester sitzen und meine zerstörte Welt, mit jedem lächeln aus diesem Wagen, Stück für Stück wieder aufbauen.

Aber an Heilung war ja erstmal nicht zu denken. Ich sagte oft zu meinem Mann, könnten wir doch einfach nur Weg. Rucksack packen und einfach nur Weg. Ich hatte oft in den Wochen Kurzschluss Momente wo ich rasend vor Verzweiflung und Wut war. Ich konnte nicht mehr klar denken und wollte nur noch weg. Ich wollte davon laufen. Auch wenn es nur räumlich ging und nicht emotional. Ich glaubte es helfe. Und das sah mein Mann auch so. Da finanziell durch die Beerdigung keine Fernreise drin war entschieden wir zur Oma Schweiz zu fahren. Sie wollte uns bekochen und uns einen Tapetenwechsel bieten. Auf andere Gedanken kommen sagte Sie. Ja, das war genau das was wir brauchten.

Als wir in der Schweiz ankamen und ich die Berge sah, fing meine Seele an Urlaub zu machen. Ich weinte in dieser Woche nur einmal. Und das war bei der Abreise. Ich bekam emotional und räumlich Abstand zu unserem Schicksalsschlag. Wir konnten beide Kraft sammeln für die weitere Zeit der Trauer die uns noch bevor steht. Das heißt nicht, dass wir Matheo vergessen oder ignoriert hatten. Er war jeden Morgen wenn wir aufwachten Thema und Abends wenn wir einschliefen. Wir sprechen immer über Matheo. Und wenn wir nicht sprechen, denken wir dennoch jede Sekunde an Ihn. Jeden Tag. Ob wir weinen, ob wir lächeln, ob wir essen, ob wir Dinge erledigen. Er ist immer da.

Berge
Unendliche Weiten der Berge

Die Wirkung eines Tapetenwechsels auf die Stimmung der Trauer ist toll. Vielleicht lag es auch an den  Bergen. An den unendlichen Weiten die dem Kopf Weite boten und Abstand gab von unserer hektischen Welt. Hier in den Bergen war alles langsam, ruhig und mit sich im Einklang. Das färbt zwangsläufig ab. Mich zog es immer wieder in die Berge in meinem Leben. Mein Mann und ich sind beide begeisterte Wintersportler und lieben den Blick in die Weite der großen, mächtigen Berge. Die Berge zeigen einem wie klein wir Menschen doch sind. Und das wir auch nur ein kleiner Teil von allem sind. Und auch hier gibt es wieder eine Erinnerung an Matheo. In unserem letzten Winterurlaub in Österreich war ich schon mit Matheo Schwanger. Aber da wussten wir es noch nicht im Dezember 2014.

 

Wir entdeckten viele Symbole auf unserem Weg im Urlaub die uns an Matheo erinnerten. Auch die direkte Begenung mit den Kühen auf der Weide gab mir wieder zu denken. Ich hatte einige Zeit versucht vegetarisch zu leben. Es jedoch aus mangelnder Kraft nicht ganz geschafft. Als ich in diese Augen der Kälber auf der Alm sah, kriegte ich wieder 1 Woche kein Fleisch runter. Und um dieses süße Kalb flog ein Weißer Schmetterling.

Kalb auf der Alm
 

Ganz besonders fasziniert waren wir von den immer widerkehrenden Steintürmchen. Wir fragten uns ständig was es damit auf sich hatte. Es gibt von der Begründung "Wegweiser" bis zu "Spirituellen" Begründung alles. Wir fanden am schönsten, dass unten die großen Steine die Alten der Familie wie Oma, Opa symbolisiert. Darüber werden die Steine immer kleiner bis zum kleinsten Familienmitglied das Baby. Und so haben wir auch Matheo zwei Steine aus der Schweiz mit gebracht die nun sein Grab zieren.



Steintürmchen San Bernadino
 

Ich denke oft, wenn mich die Trauer um Matheo wieder überrollt an die weiten der Berge. Ich hatte dort so ein besonderes Gefühl der Nähe zu Matheo. Ich weiß nicht wieso. Vielleicht durch die Höhe der Berge. Man ist viel Näher am Himmel.
 
Mein Mann und ich hatten die richtige Entscheidung getroffen. Auch uns als Paar tat dieser Urlaub sehr gut. Wir hatten mal wieder nur Zeit für uns. Der Nebel der Trauer lichtete sich etwas. Auf der Beerdigung sagte ein Kollege meines Mannes zu mir: "Ihr dürft euch dabei nicht vergessen." Ja er hatte recht. Nach so einem Schicksalsschlag vergisst man zuerst alle anderen und dann sich selbst. Aber wir als Paar mussten weiter leben auch wenn Matheo nun nicht bei uns sein darf.
 
Dichter Nebel in den Schweizer Bergen passte zum Nebel der Trauer

Bei unserem letzten Urlaub in Thailand war Matheo noch dabei. Und so war es der erste Urlaub ohne Matheo. Es war schon seltsam. Wir hatten uns nur noch auf Urlaube mit ihm eingestellt. Hatten schon ein Strandurlaub geplant wenn der kleine laufen konnte. Und nun waren wir wieder nur zu zweit.

Der Weg nach Hause war die Hölle. Ich fing ohne Grund urplötzlich an zu weinen. Die Berge verschwanden am Horizont und die hässlichen Städte kamen näher. Und damit mein Schmerz um mein Totes Kind. Ich musste so weinen, das ich nicht weiter fahren konnte. Wir mussten anhalten. Ich verstand es selbst nicht. Woher kam das? Wir fuhren zurück in unser altes Leben in dem nichts mehr war wie vorher. Und alles in mir sträubte sich dagegen. Es tut einfach verdammt weh in ein leeres Haus zu kommen in dem ab September kein Säugling schreien wird.

 
"Wir müssen lernen, ohne dich zu leben."
 
 
 
 
 

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