Montag, 7. September 2015

Tattoo

Am Freitag hatte ich meinen 2. Tattoo Termin.
 
 
 
Meine Familie ist, glaube ich so langsam, der Meinung ich spinne total. Doch für mich ist es eine Art der Verarbeitung. Das ich nicht meine ganze Trauer ausschließlich in Tattoos verarbeiten kann ist selbst erklärend. Jedoch gibt es einen wichtigen Aspekt dabei für mich. Durch den Adrenalin Ausstoß beim Tätowieren habe ich das Gefühl noch am Leben zu sein. So oft die letzten Wochen habe ich das Gefühl ich lebe nur so vor mich hin und warte. Auf was ich warte weiß ich selbst nicht. Auf ein Wunder? Auf die Ergebnisse der Autopsie? Auf eine neue Schwangerschaft? Auf ein Allheilmittel?
 
   
Keine Ahnung. Aber der Moment in dem ich Tätowiert werde zeigt mir das ich lebe. Der Schmerz und das Adrenalin was ich dabei spüre gibt mir ein Gefühl vom "am leben sein" zurück.
 
Das klingt bescheuert? Das klingt für niemanden bescheuert, der das Gefühl der niederreißenden Trauer kennt. Es ist ein extrem intensives Gefühl die Trauer. Sie reißt dich immer wieder in Ihre tiefen und zieht dich aus dem Leben. Die Trauer nimmt dir dein Lächeln. Und Sie nimmt dir den Verstand. Nicht immer gleich stark aber sehr oft unerwartet.
 
Für mich, habe ich mit meinen beiden Tattoos einen Weg gefunden einen weiteren Schritt ins Leben zurück zu kommen. Und ich bin jedes mal erschrocken von mir selbst, wie wenig Schmerz ich dabei empfinde. Ich könnte, wenn es um den Schmerz geht, ewig so weiter machen, denn es tut mir kaum weh. Ist das so, weil ich so Schmerzen erlitten habe durch den Verlust von Matheo? Kann ich keinen anderen Schmerz mehr spüren?
 
Hier und da, je nach dem an welcher Stelle die Nadel der Maschine ansetzt schließe ich die Augen. Es ist schmerzhaft aber nur kurz. Und ich warte gespannt wann es wieder weh tut. Ich freue mich fast auf die schmerzhaften Stiche der Maschine.
 
Als der Tätowierer über den Brust den letzten Teil des Tattoos stach, sagte er: "ab jetzt wird es nicht angenehmer". Die Brust und der Bereich darüber soll eine der Schmerzhaftesten Stellen zum Tätowieren sein. Ich hatte keine Angst. Es tat weh aber jeder Stich zeigte mir, ich gehe ein Stück zurück aus meinem Koma - Wolken Zustand. Ich merkte und spürte wieder etwas. Er hätte noch ewig so weiter Tätowieren können wenn es darum ging. Ich war fast traurig als wir fertig waren nach einer Stunde.
 
Als ich zu Hause war, merkte ich wie die Anspannung abfiel. Mein Körper hatte das nicht so leicht weggesteckt wie mein Kopf anscheint. Ich war richtig platt danach. Ich sah in den Spiegel und erschreckte mich vor mir selbst. Was hab ich gemacht? Ich war rausgerissen aus meiner Lethargie und realisierte da erst richtig, dass ich nun ein weiteres Tattoo für den Rest meines Lebens hatte. Was war los mit mir? Ich kenne mich selbst nicht mehr. Aber langsam gefällt mir diese neue Person im Spiegel. Denn sie hat sich sehr verändert. Sie ist mutiger geworden und weniger ängstlich. Diese Person im Spiegel tut Dinge die mein altes Ich nie getan hätte. Ob alle das so positiv finden? Ich denke nicht aber das wichtigste ist, dass mein Mann mich liebt so wie ich bin. Und auch er hat sich verändert und befindet sich noch auf seinem Weg. So ein Schicksalsschlag verändert jeden zwangsläufig ob wir wollen oder nicht.
 
Plötzlich schaust du in den Spiegel und weinst weil du dich selbst nicht mehr kennst. Aber man fängt an sich daran zu gewöhnen. Und es ist nicht alles schlecht was sich ändert. Es ändern sich Dinge, die einen schon immer an einem selbst gestört haben. Und das ist durchaus eine positive Sache. Matheo hat mir beigebracht wieder auf mein Herz zu hören und mutig zu sein. Er hat mir auch beigebracht das zu tun was ich will und nicht was andere von mir Erwarten. Mein kleines Baby hat mir soviel beigebracht obwohl es nur so kurz bei mir war. Und ich blicke gespannt auf diese Reise, auf die er seinen Papa und mich geschickt hat.
 
Mein Spruch auf Latein, die Feder die ihn schreibt und die Sterne als Ziel
 
 
Mein Mann und ich, wir wachsen beide ganz eng zusammen. Es wandelt sich und wird alles intensiver. Wir lernen uns beide selbst von einer anderen Seite kennen. Die Seite, die wir Menschen haben, wenn wir mit einem riesigen Verlust kämpfen. Und wir geben uns gegenseitig die Kraft zum weiterleben. Und wir geben dem anderen Raum und Zeit es auf seine eigene Weise zu verarbeiten. Und bei allem ist Matheo bei uns. Nicht Physisch aber Emotional.
 
Nach ein Paar Tagen haben sich noch nicht alle an mein Tattoo gewöhnt aber ich mich selbst. Ich bin verliebt darin. Und auch in die Stelle die es ziert von nun an für alle Tage. Dieses Tattoo drückt aus worauf es im ganzen Leben ankommt. Darauf das nichts selbstverständlich ist und unser Weg zum Ziel oft lang und hart ist. Und manchmal  ist der Weg den wir gehen das Ziel.






"Das Schicksal ereilt uns oft auf den Wegen, die man eingeschlagen hat, um ihm zu entgehen."
(Jean de la Fontaine)





 

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