Donnerstag, 8. Oktober 2015

Wie konntest du mich bloß verlassen?

Die Trauer um einen geliebten Menschen, den man durch den Tod verloren hat, ist kein gleichbleibender emotionaler Zustand, sondern im Gegenteil eine Achterbahn der unter- schiedlichsten Gefühle. In die Trauer und den Schmerz mischen sich Einsamkeit, Verzweiflung, Melancholie, Hoffnungs- losigkeit, Sehnsucht und Trostlosigkeit, aber auch Aggressionen und Wut brechen immer wieder durch.

Die Wut kann sich dabei zum einen gegen einen möglichen Verursacher des Todesfalls richten, wie einen Fahrer bei einem tödlichen Autounfall, einen Arzt beim Tod durch Erkrankung, gegen Gott, der dies zugelassen hat, aber auch gegen den verstorbenen Menschen selbst – besonders dann, wenn er durch die eigene Hand gestorben ist.

Wut ist ein wichtiges Ventil um die Trauer zu verarbeiten.

Gegenüber den anderen Emotionen, die man im Lauf der Trauerbewältigung empfindet, ist die Wut ein aktives und aktivierendes Gefühl. Wut will handeln, sie will Rache oder Vergeltung, sie will aus der Opferrolle, in die der Tod den Trauernden getrieben hat, ausbrechen. Insofern ist Wut ein sehr wichtiges und notwendiges Gefühl, hilft sie doch dabei, das Gefühl der Hilflosigkeit angesichts des Todes zu überwinden.

Und zudem sind Wut und Aggression an sich keine schlechten Gefühle. Sie weisen auf Missstände hin, sie bündeln Energien, sie regen zum Handeln an. In unserer Wut sind wir in gewisser Weise wie kleine Kinder, denn in diesen Zustand hat uns der Todesfall zurück versetzt: Uns wurde etwas Wichtiges genommen, und wir kennen nicht den Grund dafür, wir verstehen es nicht und wir können absolut nichts dagegen tun, wir können uns nicht wehren. Wir sind zum Opfer verdammt, das hinzunehmen hat, was ihm präsentiert wird.

Deshalb ist die Wut auch auf den verstorbenen Menschen eine absolut natürliche und gesunde Reaktion. Negativ wird sie nur dann, wenn aus Wut und Aggression gewalttätige und zerstörerische Handlungen abgeleitet werden. Aber man muss wegen seiner Wut kein schlechtes Gewissen haben, sie unterdrücken oder tabuisieren, denn sie erfüllt eine wichtige Funktion.

Deshalb sind die Phasen der Wut während der Trauerarbeit also sehr wichtige und nützliche Phasen. Sie erlauben dem Überdruck der Emotionen von Schmerz und Trauer, durch das Ventil der Wut etwas von ihrer Intensität zu verlieren, Dampf abzulassen, neue Kräfte zu sammeln.

Und so geht es mir heute. Ich habe eine unbeschreibliche Wut auf das Leben. Ich wollte nur ein Baby haben und nun habe ich tausende Euros für dessen Beerdigung ausgegeben, ein absolutes Gefühls Chaos herrscht und nun verliere ich meinen Job. Kann man einen Menschen in ein größeres Chaos befördern als dieses? Völlig Zerstörung dessen was einmal zählte. Gerade zählt nichts mehr. Es ist alles dem Erdboden geweiht. Mein Mann und ich versuchen verzweifelt aus der Lage wieder heraus zu kommen. Aber wenn es einmal Scheiße läuft, dann hat die Scheiße ihren Weg erst recht geebnet. Wie ein ausgebrochener Vulkan können wir unser Leben vor dem ausbrechen der Lava nicht mehr schützen. Die Lava überrollt alles und zerstört gerade mein ganzes Dasein. Alles was ich einmal war wird gefressen von der heißen, alles vernichtenden Lava. Mein Mann steht hilflos am Berg des Vulkans und schmeißt Schnipsel in den Krater um den Ausbruch zu stoppen. Aber mit den Schnipsel feuert er den Ausbruch nur noch mehr an. Der Vulkan ist mein Leben, und mein Leben hat sich gerade selbstständig gemacht. Es gab mal viele Jahre, da habe ich mein Leben selbst beherrscht. Jetzt beherrscht das Leben mich und zeigt mir das man es nicht beherrschen kann.

Xavier Naidoo sagt dazu in einem Song:

Du musst dein Leben leben oder dieses Leben macht mit dir was es will!


Ich habe so eine Wut auf Matheo. Ich bin so wütend was er alles angerichtet hat. Oh ja, jede von den Müttern unter uns kennt die Wut auf ihr Baby. Jede Mutter die ehrlich zu sich selbst ist, weiß genau was ich meine. Ich habe nur einen anderen Grund wütend auf Matheo zu sein. Ich bin nicht wütend weil er mir den Schlaf raubt und weil er mich mit seinem schreien in den Wahnsinn und an den Rand der Verzweiflung treibt. Nein. Ich bin wütend auf ihn weil er genau das nicht tut. Er tut nämlich etwas viel schlimmeres. Er hat uns verlassen. Und er hat uns allein gelassen mit all diesen Problemen die nun in unser Leben getreten sind. Nichts ist mehr wie es einmal war.

Wird es irgendwann stimmen? Das nur etwas Neues entstehen kann dort wo totale Zerstörung geherrscht hat?

Ich wage es kaum daran zu glauben. Das einzige was ich mir jeden Tag denke und was mir einen Grund gibt nicht im Bett zu bleiben sondern aufzustehen ist, dass ich denke, es kann eh nicht mehr schlimmer werden. Aber doch, in stillen momentan weiß ich das es noch schlimmer geht.

Diese Wut auf Matheo muss raus. Meine Mama versteht Sie sehr gut. Mein Mann versteht Sie gar nicht. Jedoch, hier sind wir wieder dabei, eine Mutter kann das verstehen. Auch wenn er für seinen Tod nichts kann, ist er doch Verursacher an der momentanen Situation.

Obwohl er eigentlich gutes in unser Leben bringen sollte, wirbelt er alles wie ein Tournado umher. Was ist denn sein Ziel davon bitte schön? Seine Mama ist stark aber ich frage mich manchmal ob er zu große Erwartungen in mich gesetzt hat. Was für eine Änderung hält Matheo denn noch bitteschön für mich bereit?

Ich habe keine Lust mehr auf Chaos Matheo. Hörst du das? Kannst du das lesen?

Ich verspüre diese Wut ja nur, weil ich den verstorbenen Menschen, meinen Sohn Matheo, mein Baby -  so schmerzlich vermisse – wäre er mir gleichgültig, so wäre ich auch nicht wütend. 

So ist der nächste Schritt schon vorbereitet. Verzeihung. Ich verzeihe ihm und mir. Wir konnten beide nichts dafür. Denn er liebt uns und wir lieben ihn. 



1 Kommentar:

  1. Liebe Sarah, das hast du sehr gut geschrieben. Ich kann dich so gut verstehen und weiß genau was du meinst. Mir laufen die Tränen. Du bringst es auf den Punkt und ich merke, wie gleich wir doch sind. Diese Gefühle kenne ich auch, weil ich meinen kleinen Engel auch so unendlich vermisse und liebe.
    Ich hoffe das wie uns bald mal sehen und uns dann in die Arme nehmen können. Unsere zwei Engel sind bei uns. Fühl dich gedrückt.
    Kussii Melanie mit Niklas fest im Herzen

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